Dr. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes erklärt, wieso die Initiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» schädlich und gefährlich für unser Gesundheitssystem ist. Mit dieser Initiative wird an der falschen Schraube gedreht und sie führt zu langen Wartezeiten und garantiert eine Zweitklassenmedizin.
Sie waren rund 30 Jahre lang Facharzt FMH für Endokrinologie und Diabetologie sowie Innere Medizin und sind seit rund einem Jahr im Ruhestand. Wie hat sich die Gesundheitsbranche in den letzten zehn Jahren verändert, welche Beobachtungen haben Sie gemacht?
Dr. Jürg Lareida: Da gibt es viel zu erzählen: In den letzten zehn Jahren wurde sehr vieles reguliert. Die steigenden Gesundheitskosten führten zu einem Aktivismus der politischen Strukturen. Dies betrifft nicht nur die ärztliche Praxis, sondern auch Apotheken, Pharmaindustrie, usw. So werden immer wieder zentralistische Eingriffe in das Tarifsystem gemacht, welche kaum Einsparungen bringen, aber die Administration in allen Bereichen erhöht. Der letzte diesbezügliche Fehlgriff war die Zulassungssteuerung. Nicht nur die Leistungserbringer haben mehr Aufwand, nein auch Kanton und Bund mussten neue Stellen schaffen.
Sie verfügen über 30 Jahre Erfahrung in Ihrem Beruf und kennen die Gesundheitsbranche. Wie effizient ist die Aargauische Gesundheitsversorgung und wo liegen die grossen Herausforderungen?
Angesichts der stagnierenden Tarife mussten die Leistungserbringer ihre Effizienz verbessern. Heute besteht ein sehr effizientes System, Leistungen werden speditiv und qualitativ hochstehend erbracht. Das hat jedoch seinen Preis. Wenn nun vorwiegend die Kosten im Fokus stehen und gesenkt werden sollen, geht das nur mit gleichzeitigem Qualitätsverlust. Dies zu verhindern muss höchste Priorität haben. Ein weiteres grosses Problem stellt die Grundversorgung dar. Immer mehr Leute wollen mehr Leistungen, das Angebot kann jedoch nicht mithalten, sodass in Zukunft Grundversorger fehlen werden. Das verteuert das System. Es ist deshalb wichtig, die Grundversorgung zu stärken. Der neue Arzttarif Tardoc geht in diese Richtung, die Erhöhung des Taxpunktwertes hilft ebenfalls.
In welche Richtung entwickelt sich unser Gesundheitswesen, im Speziellen die Hausarztpraxen?
In der hausärztlichen Versorgung wird die Entwicklung zu Gemeinschaftspraxen weitergehen. Die Einzelpraxis ist nicht mehr attraktiv, auch wenn sie sehr effizient wäre. Die Feminisierung der Medizin ist weit fortgeschritten, die jüngeren Generationen wollen mehr Ausgleich, weswegen die hohen Arbeitspensen, die früher geleistet wurden undenkbar geworden sind.
Die Diskussion um die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens werden halbherzig geführt, weil zu viele zu gut vom System leben. Was braucht es, um den gordischen Knoten durchzuhauen?
Wenn andere Sozialwerke andauernd ausgebaut würden, würden dort die exakt gleichen Diskussionen entstehen. Das beste Beispiel ist die 13. Rente. Man will Leistungen gewähren, diese sollen jedoch von den anderen bezahlt werden. Im Gesundheitswesen ist es genau gleich. Man will immer mehr Leistungen, diese dürfen aber nicht mehr kosten. Das neueste Beispiel ist die Psychotherapie durch Psychologen.
Wie können Qualität der medizinischen Versorgung und die Zugänglichkeit zu den Leistungen gesichert werden?
Das ist des Pudels Kern. Verbesserung der Qualität führt zu Senkung der Kosten. Die Fachgesellschaften arbeiten an Projekten der «smarter Medicine». Sie verhindern unnötige Abklärungen und Eingriffe und verbessern die Indikationsqualität. Hinsichtlich Zugänglichkeit der Leistungen müsste dringend definiert werden, was wirklich notwendig ist. Nicht jede machbare Therapie oder Abklärung ist auch sinnvoll.
Kommen wir zur Initiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen», worüber wir am 9. Juni abstimmen. Sie will den kontinuierlichen Anstieg auf politischer respektive gesetzlicher Ebene stoppen. Ist dies aus Ihrer Perspektive als ehemaliger Aargauer Hausarzt der richtige Weg?
Nein, das ist aus diversen Gründen der falsche Weg, da der Hebel nicht am richtigen Ort ansetzt. Kostenbremse tönt schön, die Frage ist jedoch an welcher Schraube gedreht wird. Wenn die vergüteten Leistungen weiter zunehmen – was auch bei Annahme der Kostenbremse geschehen wird – bleibt nur den Preis zu senken. Das führt zu langen Wartezeiten und mit jeder Garantie in die Zweiklassenmedizin. Die sozial schwächere Bevölkerung wird benachteiligt werden. Das liegt nicht in unserem Interesse.
Wieso steigen denn die Prämien respektive die Gesundheitskosten jährlich so massiv?
Es gibt viele Gründe. Erstens steigen die Prämien stärker als die Kosten. Dann werden immer mehr Leistungen verlangt, in der Schweiz gibt es nur kurze Wartezeiten. Dann verbessert sich die Behandlung. Die Lebenserwartung steigt auch für kranke Menschen stark an und ihre Lebensqualität wird verbessert. Das geht jedoch nicht ohne Behandlung. Dann hat die Covid-Pandemie zu dramatischen Folgen geführt: Long Covid – junge Menschen sind verunsichert und suchen den Arzt schneller auf. Das Covid-Syndrom schädigt die Blutgefässe. Dann kommen neue Leistungen, die kassenpflichtig werden. Neue, teure Medikamente ersetzen billige, alte Substanzen. Ein wichtiger Faktor ist auch die Administration, die in einer hausärztlichen Praxis 20 bis 30 Prozent der Arbeit ausmacht.
Welche Folgen hat die Kostenbremse-Initiative für das Gesundheitspersonal, respektive für die Hausärzte?
Der Druck auf die Taxpunktwerte wird steigen. Viele Therapien und Abklärungen werden nicht mehr rentabel sein und deshalb nicht mehr erbracht werden können. Der Hausarztberuf wird noch weniger attraktiv werden. Das Lohnniveau wird sinken, respektive der Staat muss neue Subventionen einführen.
Wie steht es mit der Vorlage, welche Chance hat sie, an der Urne verworfen zu werden?
Ich erwarte eine Ablehnung und bin dankbar, wenn sie entsprechend deutlich wird. Um die Kosten zu stabilisieren, braucht es Vertrauen und Konsens. Beides fehlt im Moment leider.
Interview: Corinne Remund
NEIN-Komitee
Bis heute gehören dem Komitee folgende Organisationen an:
- Schweizerischer Verband der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen (svbg)
- Spitex Schweiz
- Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe)
- Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)
- Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)
- Schweizer Physiotherapie Verband (Physioswiss)
- Foederatio Medicorum Chirurgicorum Helvetica (FMCH)
- Schweizer Dachverband der Ärztenetze (medswissnet)
- Die Spitäler der Schweiz (H+)
- Schweizerischer Apothekerverband (pharmaSuisse)
- Schweizerisches Konsumentenforum (kf)