Die Grossmutter ist für viele Menschen eine wichtige Bezugsperson. Zumindest in der vorindustriellen Bevölkerung Quebecs spielten Grossmütter eine noch tragendere Rolle: Laut einer neuen Studie unter der Leitung von Sacha Engelhardt vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern verbesserte damals die Anwesenheit einer Grossmutter die Überlebenschancen ihrer Enkelkinder.
Im Gegensatz zu den meisten Säugetieren leben Menschen nach dem Ende ihres Fortpflanzungsalters noch lange weiter. Könnte es eine evolutionäre Erklärung für dieses Phänomen geben? Laut einer Studie unter der Leitung von Dr. Sacha Engelhardt vom Institut für Ökologie und Evolution (IEE) der Universität Bern, die auf Daten zur Bevölkerung der kanadischen Provinz Quebec im 17. und 18. Jahrhundert basiert, ist es für Familien mit Kindern ein grosser Vorteil, die Grossmutter in der Nähe zu haben. Die Forschenden haben herausgefunden, dass die Unterstützung durch die Grossmutter nicht nur die Überlebenschancen von Kindern bis zur Pubertät verbesserte, sondern auch die Zahl der Kleinkinder erhöhte, die Frauen haben können. «Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Grossmütter in der vorindustriellen Bevölkerung Quebecs eine unverzichtbare Rolle gespielt haben», erklärt Engelhardt. Das Ziel der Studie war es, die Entwicklung der Menopause und des postreproduktiven Lebens bei Frauen besser zu verstehen. Die Studie entstand am Department of Biology der kanadischen Université de Sherbrooke, wo Engelhardt zur Zeit der Studie neben der Universität Bern arbeitete, und wurde in Zusammenarbeit mit der Bishop’s University und der Université de Montréal (beide Kanada) durchgeführt. Sie wurde im Fachmagazin Current Biology publiziert.
Die Grossmutter-Hypothese
Grundidee des Forschungsvorhabens war es, die sogenannte «Grossmutter-Hypothese» zu überprüfen. Diese besagt, dass postmenopausale Frauen ihre Nachkommen der übernächsten Generation unterstützen und so einen positiven Einfluss auf deren Überlebensrate haben. «Diese Hypothese wurde bereits vielerorts getestet, in Europa, Afrika usw. Teils stellte sich die Annahme als plausibel heraus, teils nicht», sagt Fanie Pelletier, Professorin am Department of Biology an der Université de Sherbrooke und Ko-Autorin der Studie. Der Ansatz des Forschungsteams, die Hypothese anhand der geografischen Entfernung zu überprüfen, ist jedoch neu.
Die Distanz ist entscheidend
Mit der geografischen Entfernung als Indikator versuchten die Forschenden, den Beitrag der Grossmütter zur Unterstützung ihrer Töchter zu ermitteln. Die Forschenden kamen zu folgendem Schluss: Je weiter weg die Grossmutter lebt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihre Töchter eine tiefere Anzahl Kinder haben. «Pro 100 Kilometer Entfernung sind es 0,6 Kinder weniger pro Frau», sagt Engelhardt. «Das ist eine Menge. Pro 300 Kilometer sind es 1,5 Kinder weniger.»
«In unserer Studie hatten Frauen, deren Mütter noch am Leben waren, mehr Kinder, und mehr dieser Kinder erreichten das Alter von 15 Jahren», meint Patrick Bergeron, Professor am Department of Biological Sciences der Bishop’s University und ebenfalls Ko-Autor der Studie. «Es ist interessant festzustellen, dass der Grossmuttereffekt mit zunehmender geografischer Entfernung zwischen Grossmutter und Tochter abnimmt, was darauf hindeutet, dass das Unterstützungspotenzial mit der geografischen Nähe zusammenhängt.»
Daten aus Quebec von 1608 bis 1799
Um die Studie durchzuführen, analysierte die Forschungsgruppe Informationen aus dem «Registre de la population du Québec ancien». Dieses enthält demographische Daten der Bevölkerung von Quebec von 1608 bis 1799. In dieser Zeit wurden dort die ersten französischen Siedlungen gegründet. Insgesamt wurden 149 Gemeinden untersucht. «In Quebec haben wir sehr detaillierte Daten aus Zivilregistern, aber auch aus Kirchenbüchern», sagt Fanie Pelletier. «Es war uns so möglich, anhand der Wohngemeinden die Entfernung zwischen den Grossmüttern und den Familien zu ermitteln.» Insgesamt umfasste die Analyse 3’382 Grossmütter, die 34’660 Kinder zur Welt brachten. Von diesen Kindern heirateten 7’164 Mädchen und hatten insgesamt 56’767 Kinder.
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Professor Alain Gagnon und Professorin Lisa Dillon von der Abteilung für Demographie an der Université de Montréal durchgeführt.
pd